CAIRN.INFO : Matières à réflexion

1Am 22. Juni 1982 publizierte der Canard Enchaîné unter dem Titel La tragique histoire des « avions renifleurs » qui ne reniflaient rien einen Artikel über eine gleichermaßen verworrene wie groteske Betrugsaffäre [1]. Demzufolge hatte der französische Mineralölkonzern Elf Aquitaine zwischen 1975 und 1979 eine Milliarde Francs in die Entwicklung einer Technologie investiert, mit deren Hilfe Erdölfelder von Flugzeugen aus aufgespürt werden sollten. Erst nach mehreren Übereinkommen mit den vermeintlichen « Erfindern » dieser modernen Wünschelrute, jahrelangen Zahlungen in Millionenhöhe und einigen fehlgeschlagenen Bohrungen wurde der Unternehmensführung klar, dass sie betrogen worden war. Die Angelegenheit war doppelt brisant : Einerseits, weil in einem staatlich geführten Konzern praktisch alle Kontrollmechanismen versagt hatten ; andererseits, weil dem Zeitungsbericht zufolge eine namhafte Riege von Politikern und Managern in den Skandal verstrickt war – darunter Philippe de Weck, Verwaltungsratspräsident der Schweizer Bankgesellschaft, der italienische Großindustrielle Carlo Pesenti, der frühere französische Ministerpräsident Antoine Pinay, der ehemalige spanische Diplomat und Tourismusminister Alfredo Sánchez Bella und sogar der damalige französische Präsident Valéry Giscard d’Estaing, der die unüblichen Geschäftspraktiken von Elf Aquitaine genehmigt hatte.

2Wie konnte sich ein solch billiger Betrug über mehrere Jahre hinweg und unter Missachtung jeglicher wissenschaftlicher, industrieller und politischer Vorsicht zu einem derartigen finanziellen Fiasko entwickeln ? Mehrere Ursachen wirkten in der sogenannten « Affaire des avions renifleurs » zusammen : das enge Vertrauensverhältnis der involvierten Personen, die diskrete aber stets entschiedene Vermittlung zwischen den Vertragspartnern durch den unermüdlichen Pariser Rechtsanwalt Jean Violet und der unbedingte Wille zum Glauben an eine Erfindung, von der man sich bisher ungeahnte Möglichkeiten versprach. Im Vertrauen auf die moralische Integrität des jeweiligen Verhandlungs- und Vertragspartners entstand so eine sich selbst verstärkende Logik, deren Grundannahme – das vermeintliche Potential der « Erfindung » – nicht mehr in Frage gestellt wurde [2]. Die Ursprünge dieses unerschütterlichen Vertrauensverhältnisses zwischen den Beteiligten blieben der Öffentlichkeit jedoch auch nach der 1984 abgeschlossenen Überprüfung der Vorgänge durch die neue, sozialistische Regierung [3] weitgehend verborgen. Tatsächlich handelte es sich bei den Protagonisten des Skandals nicht um eine zufällige Personenkonstellation. Vielmehr kannten sich mehrere dieser Personen über ihr gemeinsames, teils bis in die fünfziger Jahre zurückreichendes Engagement in verschiedenen konservativen Elitezirkeln.

3Diese Organisationen, die sich den Kampf für ein von christlichen Werten geprägtes Europa und gegen den Kommunismus auf die Fahnen geschrieben hatten, stehen im Zentrum meines Dissertationsprojektes über private außenpolitische Kontakte im konservativen Milieu Westeuropas nach 1945. Ziel dieses Projektes soll es sein, die persönliche Dimension internationaler Beziehungen in der Nachkriegszeit zu erfassen und ihren Wandel bis in die achtziger Jahre hinein zu analysieren. Die von mir dafür gewählte Untersuchungsmethode soll das dynamische Zusammenspiel von strukturellen Entwicklungen und persönlichem Erleben anhand von ausgewählten Personengruppen, Interessen- und Schicksalsgemeinschaften erfassen. Diese Methode lässt sich mithilfe eines leicht abgewandelten Terminus der jüngeren Forschung zur Geschichte der internationalen Beziehungen mit dem Begriff der « biographies croisées » charakterisieren. « Biographies croisées » bedeutet einerseits, dass nicht nur eine sondern mehrere Personen im Mittelpunkt der Untersuchung stehen. Entscheidend ist dabei weniger der Vergleich als die Frage nach Gemeinsamkeiten, Überschneidungen und Verbindungen zwischen verschiedenen Lebenswegen – und den daraus resultierenden Rückwirkungen auf die Einzelpersonen. « Biographies croisées » heißt außerdem, dass die Lebenswege nicht unabhängig, sondern in ihren politischen, sozio-ökonomischen, kulturellen und ideengeschichtlichen Zusammenhängen untersucht werden. Denn gerade in diesem Zusammenspiel von strukturellen Entwicklungen und persönlichem Erleben besteht der eigentliche Erkenntnisgewinn biographischer Studien. Der Begriff der « biographies croisées » soll schließlich insbesondere auf die grenzüberschreitende, transnationale Dimension von Lebenswegen verweisen [4].

1 – Von Jalta nach Budapest – Das Centre Européen de Documentation et d’Information (CEDI) und sein Einsatz für die Befreiung Europas vom Kommunismus

4Ausgangspunkt meiner Überlegungen ist eine Organisation mit dem ebenso vielversprechenden wie nichtssagenden Namen Centre Européen de Documentation et d’Information (CEDI) [5]. Das CEDI wurde 1952 im damals von General Franco regierten Spanien gegründet. Initiator und führender Kopf der Organisation war Otto von Habsburg, der älteste Sohn des letzten Kaisers Karl I. von Österreich-Ungarn [6]. Das CEDI sollte verschiedene christlich-konservative Gruppierungen zusammenschließen, die im Zeichen des Wiederaufbaus, des einsetzenden Kalten Krieges und der beginnenden Europäischen Integration in Westeuropa entstanden waren. Bald schon entwickelte sich der anfängliche « Freundeskreis », kaum beachtet von der Außenwelt, zu einem bedeutenden transnationalen Kontaktnetz. Unter dem Vorwand kulturellen Austausches und einer « abendländischen » Zusammengehörigkeit ermöglichte das CEDI dem damals außenpolitisch isolierten frankistischen Spanien regelmäßige Treffen mit prominenten Konservativen aus Westeuropa. Auf den internationalen Kongressen des CEDI – die meist im Escorial, der symbolträchtigen Schloss- und Klosteranlage vor den Toren Madrids abgehalten wurden – trafen alljährlich hochrangige konservative Amts- und Würdenträger zusammen [7]. Neben der spanischen Sektion, der mehrere Minister und hochrangige Funktionäre des Franco-Regimes angehörten, erwiesen sich die deutschen Vertreter in dieser « Internationale der Konservativen » als besonders aktiv. Sie stammten ursprünglich aus dem katholisch-klerikalen Umfeld der Abendländischen Akademie[8]. 1957 gründeten sie dann ein eigenes deutsches Zentrum, das Europäische Institut für politische, wirtschaftliche und soziale Fragen e.V. mit Sitz in Bad Godesberg. Weitere nationale Sektionen gab es in Frankreich, Belgien und Österreich, später auch in Großbritannien, Liechtenstein, Griechenland, der Schweiz, Schweden, Portugal und sogar in Finnland. Das Wirkungsfeld des CEDI reichte damit deutlich über das institutionalisierte « Europa der Sechs » hinaus. Folglich lag sein diplomatischer Wert gerade auch darin, dass hier diejenigen Länder gleichberechtigt vertreten waren, die sonst am europäischen Einigungsprozess nicht partizipierten.

5Wichtigstes Anliegen des CEDI war ein eigenständiges Europa nach konservativen und christlichen Vorstellungen [9]. Europa sollte einerseits geschlossen und aktiv gegen die kommunistische Bedrohung des Kontinents auftreten, andererseits aber auch möglichst viel Unabhängigkeit gegenüber den Vereinigten Staaten wahren. In erster Linie galt es jedoch, eine Verständigung von Kommunismus und Liberalismus über den Kopf Europas hinweg – sozusagen eine zweite Konferenz von Jalta [10] – zu verhindern. Das CEDI bekannte sich daher einerseits eindeutig zur westeuropäischen Integration, lehnte jedoch andererseits die Idee einer friedlichen Koexistenz von Ost und West entschieden ab. Mit dem Kommunismus konnte es nach einhelliger Meinung seiner Mitglieder kein friedliches Zusammenleben geben. Die Friedensangebote der sowjetischen Regierung seien diplomatische Schachzüge, die nur eine Einverleibung ganz Europas in den kommunistischen Machtbereich zum Ziel hätten [11]. Es verwundert kaum, dass die Mitglieder des CEDI während der Doppelkrise des Herbst 1956 eindeutig Stellung bezogen – und zwar einerseits zugunsten der französisch-britischen Intervention in Ägypten, andererseits für ein entschiedenes westliches Auftreten gegenüber dem sowjetischen Vorgehen in Ungarn. Otto von Habsburg, der sich seinen ungarischen Landsleuten gegenüber in der Pflicht sah, warb sogar bei General Franco für die Ausrüstung und Entsendung von Exilantendivisionen und spanischen Freiwilligen nach Ungarn. Solch ein militärisches Eingreifen hätte mit Sicherheit den Übergang zu einer bewaffneten Befreiungspolitik markiert und dadurch eine offene Konfrontation der Supermächte in Europa in Kauf genommen. Die Pläne scheiterten schließlich sowohl an den mangelnden logistischen Möglichkeiten der spanischen Armee als auch am entschiedenen amerikanischen Veto [12].

6Aus französischer Perspektive interessiert besonders die Teilnahme mehrerer enger Wegbegleiter General De Gaulles an den Aktivitäten des CEDI – darunter Edmond Michelet, Louis Terrenoire, Michel Habib-Deloncle und zeitweise auch Michel Debré. Anders als die gaullistische Legende von der « traversée du désert » [13] nahelegt, schlugen diese bereits 1955 und damit unmittelbar nach dem offensichtlichen Scheitern des Rassemblement du peuple français (RPF) eine scheinbar koordinierte internationale Strategie ein. Gezielt machten sie private außenpolitische Kanäle für sich nutzbar und warben für die gaullistischen Europavorstellungen. Dies ermöglichte wiederum den deutschen CEDI-Mitgliedern, im Mai 1958 zu einer zuverlässigen Informationsquelle über die Absichten und Pläne De Gaulles aufzusteigen. Nach dem Regimewechsel wurden diese internationalen Kontakte mit der Gründung eines französischen Zweiges der Paneuropa-Union und der Wiederbelebung von Parlamentariergruppen und Freundschaftsgesellschaften weiter ausgebaut. Das CEDI erhielt zudem umfangreiche finanzielle Unterstützung durch die französische Regierung. Dank dieser Form offiziöser Außenpolitik konnten die Gaullisten an internationale Kontakte gelangen, die Ihnen anderenfalls verwährt geblieben wären. Denn im Gegensatz zum christdemokratischen Mouvement républicain populaire (MRP) oder den Sozialisten besaßen die Gaullisten keinen natürlichen politischen Partner in anderen Ländern. Gleichzeitig konnten die innenpolitischen Gegner De Gaulles geschwächt werden, indem Mitglieder anderer Parteien aus internationalen Institutionen verdrängt wurden. Diese Strategie zielte längerfristig darauf ab, die traditionelle christdemokratische Kooperation durch eine enge Abstimmung der jeweiligen « Mehrheitsparteien » zu ersetzen. Die Kontakte wurden zudem systematisch dafür genutzt, die gaullistische Europa- und Deutschlandpolitik zu unterstützen und ihr eine bessere Breitenwirkung zu verschaffen [14].

2 – Von Madrid nach Washington – Der Wandel internationaler Kommunikationsstrukturen in den sechziger und siebziger Jahren

7In der neueren ideengeschichtlichen Forschung zum 20. Jahrhundert wird der Zeitraum von etwa 1920 bis in die frühen sechziger Jahre zunehmend als Einheit verstanden, die über die großen politischen Zäsuren hinausgreift. Vieles spricht dafür, eine ähnliche Periodisierung auch auf die Kommunikationsstrukturen im Bereich der internationalen Beziehungen anzuwenden. Tatsächlich wandelten sich während der sechziger Jahre die Grundlagen internationaler Kommunikation in fundamentaler Weise, wobei sich mindestens drei Ebenen voneinander unterscheiden lassen : Ein erster Bereich ist die strategische bzw. diskursive Ebene. Spätestens seit der Kuba-Krise wurde hier von einer Logik der Konfrontation zum Gebot der Entspannung und der Annäherung übergegangen. In Deutschland ließ dieser Strategiewechsel noch am längsten auf sich warten. Er fand schließlich in der « Neuen Ostpolitik » der sozialliberalen Koalition seinen Niederschlag. Die Gründe für diesen Richtungswechsel lassen sich zweitens auf einen tiefgreifenden gesellschaftlichen Wandel zurückführen. Dieser schlug sich vielerorts in den innenpolitischen Machtverhältnissen nieder. Er bewirkte zudem eine grenzüberschreitende Angleichung und Internationalisierung der vormals national bestimmten Gesellschaftsordnungen und gesellschaftlichen Interessen. Die dritte Ebene umfasst die technische und institutionelle Dimension politischer Kommunikationsstrukturen. Der vormals enge und leicht überschaubare Kreis von Diplomaten und Außenpolitikern vergrößerte sich im Laufe des zweiten Nachkriegsjahrzehnts rapide – insbesondere durch die Ausweitung und Konsolidierung des europäischen und transatlantischen Integrationsprozesses. Verfügbarkeit und angemessene Nutzung moderner Kommunikationsmittel, Professionalisierung, wissenschaftliche Expertise und Rationalisierung wurden zur Grundvoraussetzung erfolgreicher Außenpolitik.

8Eine Organisation wie das CEDI schien diesen Herausforderungen kaum mehr gewachsen zu sein. Tatsächlich wurde das CEDI von der Öffentlichkeit wenn überhaupt dann als realitätsferner Debattierclub antikommunistischer Propagandisten, adeliger Revisionisten und klerikaler Nostalgiker wahrgenommen [15]. Umso erstaunlicher ist die Flexibilität, mit der die wichtigsten Protagonisten des CEDI ihre Handlungsmuster und Organisationsformen anpassen und dadurch ihren Einfluss auf die internationalen Beziehungen wahren konnten. Eine erste Reaktion bestand darin, die diplomatischen Aktivitäten hinter den Kulissen der offiziellen Regierungskontakte einer noch stärkeren Geheimhaltung zu unterwerfen. Auch wählte man potentielle neue Mitstreiter noch strenger als bisher aus. Ganz im Sinne konservativelitären Politikverständnisses konnte das Beziehungsnetz des CEDI seinen persönlichen und freundschaftlichen Charakter wahren, obwohl es nun auch zielstrebig um transatlantische und weltweite Kontakte ausgebaut wurde. Das elitäre Selbstverständnis fand seine Ergänzung in öffentlichkeitswirksamen Strategien. Dies belegt beispielsweise das zunehmende Engagement Otto von Habsburgs in der Paneuropa-Union, die unter seiner Präsidentschaft ab den siebziger Jahren zu einer mitgliederstarken und medienwirksamen Großorganisation ausgebaut wurde [16]. Außerdem drehte sich die ursprüngliche Abneigung gegenüber liberalen und vor allem gegenüber wirtschaftsliberalen Überzeugungen ins Gegenteil. Lediglich der Antikommunismus bestand als feste ideologische Konstante fort. Die Forderung nach persönlicher und wirtschaftlicher Freiheit entwickelte sich zum bestimmenden Argumentationsschema und zur zentralen Strategie im Kampf für die Befreiung der Welt von der kommunistischen Herrschaft.

9Das CEDI arbeitete zwar in der bisherigen Form weiter, wandte sich jedoch zunehmend scheinbar weniger brisanten Aufgaben wie der Entwicklungshilfe zu. Die deutsche Sektion entpolitisierte sich zusehends und stellte sich in den Dienst der Wissenschaft. Ihr Vorsitzender, Alois Graf von Waldburg-Zeil, schnitt die Organisation eng auf seine Tätigkeit als Herausgeber und Verleger entwicklungspolitischer Schriften zu [17]. Die Rolle als konservatives Diskussionsforum zu aktuellen tages- und weltpolitischen Themen übernahm jetzt nach und nach das 1961 von der engeren Führungsriege des CEDI gegründete Institut d’Études Politiques mit Sitz in Vaduz. Nach dem Vorbild angelsächsischer Politclubs traf sich hier in aller Abgeschiedenheit ein eingeschworener Kreis von konservativen Politikern, Managern und Militärstrategen. Unter der Schirmherrschaft des Fürsten von Liechtenstein tauschten sie sich an vier Wochenenden im Jahr über die neuesten Entwicklungen in den einzelnen Ländern und auf internationaler Ebene aus [18]. Deutlich skurriler mutet ein weiteres politisches Forum an, das sich gegen Ende der sechziger Jahre unter Beteiligung mehrerer CEDI-Mitglieder – darunter wiederum Otto von Habsburg – zusammengefunden hatte. Es trug den enigmatischen Namen Le Cercle. In unregelmäßigen Abständen, meist jedoch zwei- bis dreimal im Jahr, trafen in diesem Rahmen hochrenommierte Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens aus Europa und Nordamerika an wechselnden Orten zusammen. Unter strengster Geheimhaltung und frei von organisatorischen Zwängen konnten sie sich über ihre Sicht der weltpolitischen Lage unterrichten. Die Aktivitäten des Cercle lassen – auch aufgrund ihrer Verbindungslinien zu mehreren Geheimdiensten – viel Raum für Spekulationen und verschwörungstheoretische Mutmaßungen. Unter den Namen der Teilnehmer, die erst Anfang der achtziger Jahre durch eine Indiskretion in Reihen der bayerischen Staatsregierung bekannt wurden, befanden sich der mehrmalige italienische Ministerpräsident Giulio Andreotti, der einflussreiche britische Publizist Brian Crozier, Henry Kissinger, David Rockefeller, Franz Josef Strauß und eben – womit wir wieder beim Personenkreis der « Affaire des avions renifleurs » angelangt wären – Antoine Pinay, Alfredo Sánchez Bella und Carlo Pesenti [19].

3 – Von Helsinki nach Santiago – Konservative Elitenzirkel der siebziger Jahre und ihr Kampf für « Freiheit und Frieden »

10Treibende Kraft hinter dem Cercle war jedoch zunächst vor allem der bereits anfänglich genannte Rechtsanwalt Jean Violet. Jean Violet war immer wieder im CEDI, im Vaduzer Institut d’Études Politiques und bei vielen weiteren konservativen und antikommunistischen Organisationen zu Gast. Er galt als enger Vertrauter Antoine Pinays, pflegte jedoch auch gute persönliche Kontakte zu De Gaulle, Adenauer und Strauß, bei denen er immer wieder eingeladen war. Über den Lebenslauf Violets ist nur wenig bekannt, was nicht wundert, da er für seine Dienste vom französischen Geheimdienst SDECE, vermutlich aber auch vom Bundesnachrichtendienst bezahlt wurde. In den späten fünfziger Jahren war Violet damit betraut worden, bei den Regierungen lateinamerikanischer Länder für die französische Algerienpolitik zu werben und ihr Abstimmungsverhalten bei den Vereinten Nationen zu beeinflussen. Er reiste meist in Begleitung des Dominikanerpaters Dubois, der sich dem Kampf für die Rechte der katholischen Glaubensbrüder hinter dem Eisernen Vorhang verschrieben hatte. Im Laufe der Jahre hatte Violet in aller Stille ein zuverlässiges Beziehungsnetz in Westeuropa und Nordamerika geknüpft, das ihn vermutlich zu einem der einflussreichsten Kontaktmänner der konservativen Politszene machte. Von christlichen Überzeugungen beseelt und vom Hass gegen den Kommunismus besessen hatte Violet die « action psychologique » zu seinem eigentlichen Metier erklärt. Unter dieser Bezeichnung verstand er vor allem die Koordinierung und Schematisierung westlicher Propaganda gegen die kommunistischen Regime [20].

11In diesem Zusammenhang stand auch die Kampagne « für eine wahre “Europäische Sicherheit” », die im Hinblick auf die Konferenz für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (KSZE) konzipiert wurde. Ziel dieser Kampagne : eine möglichst große Zahl namhafter westeuropäischer Politiker von der Notwendigkeit zu überzeugen, die Forderung nach einer « liberté de circulation des hommes et des idées » in der Schlussakte der Konferenz von Helsinki zu verankern [21]. Die Botschaft dieser Kampagne war einfach und nahm in gewisser Weise den aggressiven außenpolitischen Diskurs der Ära Reagan vorweg : Ein friedliches Zusammenleben in Europa und in der Welt setze Freiheit voraus. Europäische und transatlantische Integration müssten sich deshalb vor allem daran messen lassen, ob sie eine gemeinsame Front gegen die Bedrohung der Freiheit durch den Kommunismus schaffen können. Unterstützt wurde die Kampagne durch eine rege publizistische Tätigkeit. Unter dem Namen Le Monde moderne erschien in Paris eine Zeitschrift, zu deren Herausgebern wohl auch Jean Violet zählte. Le Monde moderne fungierte als französisches Sprachrohr des antikommunistischen Londoner Institute for the Study of Conflict (ISC) und publizierte dessen umfangreiche Berichte über kommunistische Infiltration und Subversion in der westlichen Welt. In der gleichen Zeitschrift übten Franz Josef Strauß und sein außenpolitischer Berater Hans Graf Huyn beißende und teilweise diffamierende Kritik an der « Neuen Ostpolitik » der Bonner Regierung [22]. Die Kampagne erwies sich als Paradebeispiel für die Anpassungsfähigkeit konservativer Kommunikationsstrategien : Durch die Sensibilisierung politischer Eliten gegenüber einer « falschen » Interpretation von Frieden und Entspannung sollte auf die Verhandlungsführung in Helsinki und auf die westeuropäische Öffentlichkeit eingewirkt werden.

12Um möglichst starke Kräfte gegen die weltweite kommunistische Subversionstätigkeit zu mobilisieren, scheuten die Protagonisten der genannten Organisationen auch nicht vor einer Zusammenarbeit mit extremistischen Gruppierungen zurück. Eindeutige personelle Verbindungslinien bestanden zur umstrittenen World Anti-Communist League (WACL). Deren Entstehung ging ursprünglich auf eine nationalchinesische Initiative zurück. Später wurde der WACL die militärische Unterstützung konterrevolutionärer Aktivitäten in Lateinamerika vorgeworfen [23]. Bereits in die Gründungsphase des CEDI zurück reichte das gute Verhältnis zu verschiedenen osteuropäischen Vertriebenenverbänden, die sich bereitwillig als Zeugen für die Unmenschlichkeit der kommunistischen Regime zur Verfügung stellten. Außerdem bezogen viele Mitglieder der hier untersuchten Organisationen offen gegen eine Verurteilung der Apartheidsregime in Südafrika und Südrhodesien Stellung. Sie lobten die blutige portugiesische Kolonialpolitik als zivilisatorische Mission und rechtfertigten den Militärputsch in Chile als Verteidigung freiheitlicher Werte. Sowohl in organisatorischer als auch in inhaltlicher Hinsicht hatte sich der europäische Konservatismus damit an seine nordamerikanischen Brüder angenähert, ohne dabei seine eigentlichen Wurzeln zu verleugnen. Aus einer kleinen Gruppe von außenpolitisch Interessierten waren straff organisierte konservative Denkfabriken und effiziente internationale Kontaktstellen geworden ; aus gläubigen Idealisten und politischen Nostalgikern zielstrebige Propagandisten, die – so zeigt es die « Affaire des avions renifleurs » – auch nicht davor zurückschreckten, Politik und Geschäft miteinander zu verbinden. Europas Konservative schienen gewappnet für die Ära Reagan und für die alles entscheidende Auseinandersetzung mit dem Kommunismus.

Notes

  • [*]
    Johannes GROSSMANN, Professor Dr., Historisches Institut der Universität des Saarlandes, Lehrstuhl für Neuere und Neueste Geschichte, Fachrichtung 3.4 Geschichte, Postfach 15 11 50, D-66041 SAARBRÜCKEN ; courriel : j.grossmann@mx.uni-saarland.de
  • [1]
    Pierre Péan : « La tragique histoire des « avions renifleurs » qui ne reniflaient rien », in : Le Canard enchaîné, 22-6-1983 ; vgl. außerdem Pierre Péan : V. Enquête sur l’affaire des « avions renifleurs » et ses ramifications proches ou lointaines, Paris : Fayard, 1984.
  • [2]
    Für eine Analyse der Affäre aus kriminologischer Sicht vgl. Pierre Lascoumes : « Au nom du progrès et de la Nation. Les avions renifleurs », in : Politix n° 48 (1999), S. 129-155 ; Pierre Lascoumes : Élites irrégulières. Essai sur la délinquance d’affaires, Paris : Gallimard, 1997, S. 81-112 und 135-180.
  • [3]
    François Giquel (dir.) : Livre blanc sur l’affaire dite des « avions renifleurs », Paris : La Documentation française, 1984.
  • [4]
    Zum Konzept der « histoire croisée », das dem Begriff der « biographies croisées » zugrunde liegt, vgl. Michael Werner und Bénédicte Zimmermann : « Penser l’histoire croisée. Entre empirie et réflexivité », in : Michael Werner et Bénédicte Zimmermann (Hrsg.) : De la comparaison à l’histoire croisée, Paris : Seuil, 2004, S. 15-49 ; siehe auch Johannes Großmann : « ‘Vom Rand zur Mitte‘. Adel und Politik nach 1945 am Beispiel des Centre européen de documentation et d’information (CEDI) », in : Discussions 2 (2009) – Adel im Wandel (16.-20. Jahrhundert)/La noblesse en mutation (XVIe-XXe siècle), publiziert im Internet unter http://www.perspectivia.net [in Vorbereitung].
  • [5]
    Einen Überblick zur Geschichte des CEDI bis Ende der sechziger Jahre gibt Vanessa Conze : Das Europa der Deutschen. Ideen von Europa in Deutschland zwischen Reichstradition und Westorientierung (1920-1970), München 2005, S. 169-206 ; zur Rolle des CEDI in den deutsch-spanischen Beziehungen vgl. Petra-Maria Weber : Spanische Deutschlandpolitik 1945-1958. Entsorgung der Vergangenheit, Saarbrücken : Verlag für Entwicklungspolitik, 1992, S. 205-268 ; Birgit Aschmann : « Treue Freunde… » ? Westdeutschland und Spanien 1945-1963, Stuttgart : Steiner, 1999, S. 425-435 ; Carlos Sanz Diaz : España y la República Federal de Alemania (1949-1966). Política, económica y emigración, entre la Guerra Fría y la Distensión, thèse de doctorat, Madrid : Universidad Complutense, 2005, S. 450-457, publiziert im Internet unter http://www.ucm.es/BUCM/tesis/ghi/ucm-t28931.pdf [29-01-2009].
  • [6]
    Stephan Baier und Eva Demmerle : Otto von Habsburg. Die Biographie, Wien : Amalthea, 2002, S. 239-241.
  • [7]
    Zu den Kongressen des CEDI bis 1972 siehe die Jubiläumsschrift von Georg von Gaupp-Berghausen (Hrsg.) : 20 años C.E.D.I., Madrid : Editora Nacional, 1971.
  • [8]
    Zu Entstehung und Entwicklung der Abendländischen Akademie siehe Axel Schildt : Zwischen Abendland und Amerika. Studien zur westdeutschen Ideengeschichte der 50er Jahre, München : Oldenbourg, 1999, S. 21-82 ; Vanessa Conze : Das Europa der Deutschen (Anm. 5), S. 127-169.
  • [9]
    Das CEDI war nicht die einzige Organisation, die derartige Ideen verfolgte. Vgl. Philippe Chenaux : Une Europe Vaticane ? Entre le Plan Marshall et les Traités de Rome, Bruxelles : Ciaco, 1990.
  • [10]
    Zum Jalta-Mythos vgl. Reiner Marcowitz : « Yalta, the Myth of the Division of the World », in : Cyril Buffet and Beatrice Heuser (Hrsg.) : Haunted by History. Myths in International Relations, Providence : Berghahn, 1998, S. 80-91.
  • [11]
    Dies war beispielsweise der Tenor der Beiträge auf dem vierten Jahreskongress, publiziert in Form eines Sammelbandes, in : CEDI (Hrsg.) : La Coexistence Pacifique est-elle possible ?, Madrid 1955.
  • [12]
    Ádám Anderle : « La intervención española en la revolución húngara de 1956 según las fuentes húngaras », in : Historia Actual Online n° 10 (2006), S. 115-123.
  • [13]
    Zur mythologischen Dimension des Gaullismus in der Nachkriegszeit siehe Brigitte Gaïti : De Gaulle prophète de la Cinquième République, 1946-1962, Paris : Presses de Sciences Po, 1998.
  • [14]
    Ausführlichere Informationen über die französische Sektion und die « gaullistische Episode » des CEDI finden sich bei Johannes Großmann : « Auf dem Jakobsweg. Das Centre Européen de Documentation et d’Information (CEDI) als Mittler zwischen Spanien, Deutschland und Frankreich », in : Armin Heinen und Dietmar Hüser (Hrsg.) : Tour de France. Eine historische Rundreise, Festschrift für Rainer Hudemann, Stuttgart : Steiner, 2008, S. 321-329 ; über die christdemokratische Parteienkooperation in Westeuropa vgl. zum Beispiel Michael Gehler, Wolfram Kaiser und Helmut Wohnout (Hrsg.) : Christdemokratie in Europa im 20. Jahrhundert, Wien : Böhlau, 2001.
  • [15]
    Vgl. beispielsweise Gustav Herrmann : « Das CEDI gibt manche Rätsel auf. Ein internationales Adelsthing in Spanien mit prominenten deutschen Gästen », in : Frankfurter Rundschau, 13.9.1963.
  • [16]
    Die Entwicklung der Paneuropa-Union nach 1945 ist bisher nur unzureichend erforscht. Einen ersten Überblick vermittelt Vanessa Conze : Richard Coudenhove- Kalergi. Umstrittener Visionär Europas, Gleichen : Muster-Schmidt, 2004 ; aus der Sicht Otto von Habsburgs vgl. Baier und Demmerle : Otto von Habsburg (Anm. 6), S. 331-373 ; für die Zwischenkriegszeit siehe Anne-Marie Saint-Gille : La « Paneurope ». Un débat d’idées dans l’entre-deux-guerres, Paris : Presses de l’Université de Paris-Sorbonne, 2003 ; Anita Ziegerhofer-Prettenthaler : Botschafter Europas. Richard Nikolaus Coudenhove-Kalergi und die Paneuropa-Bewegung in den zwanziger und dreißiger Jahren, Wien, Köln, Weimar : Böhlau Verlag, 2004 ; Ina Ulrike Paul : « Einigung für einen Kontinent von Feinden ? R. N. Coudenhove-Kalergis “Paneuropa” und K. A. Rohans “Reich über Nationen” als konkurrierende Europaprojekte der Zwischenkriegszeit », in : Heinz Duchhardt und István Németh : Der Europa-Gedanke in Ungarn und Deutschland in der Zwischenkriegszeit, Mainz : Zabern, 2005, S. 21-45.
  • [17]
    Die politische Karriere von Graf Waldburg-Zeil, der 1980 in den Bundestag gewählt wurde, wird beschrieben von Andreas Dornheim : Adel in der bürgerlich-industria lisierten Gesellschaft. Eine sozialwissenschaftlich-historische Fallstudie über die Familie Waldburg-Zeil, Frankfurt am Main : Lang, 1993, S. 389-396.
  • [18]
    Aufgrund seiner streng geheimen Arbeitsweise wurde das Vaduzer Institut d’Études Politiques, das bis heute existiert, von der Forschung bislang nicht beachtet. Einen ersten Abriss seiner Geschichte gibt Johannes Großmann : « Ein Europa der “Hintergründigen”. Antikommunistische christliche Organisationen, konservative Elitenzirkel und private Außenpolitik in Westeuropa nach dem Zweiten Weltkrieg », in : Johannes Wienand und Christiane Winkler (Hrsg.) : Die kulturelle Integration Europas, Wiesbaden : VS Verlag für Sozialwissenschaften, 2009 [in Vorbereitung].
  • [19]
    Über die Mitglieder, die Arbeitsweise und die Aktivitäten des Cercle vgl. ibid. ; aus der Sicht eines Investigativjournalisten vgl. Péan : V (Anm. 1), S. 55-95.
  • [20]
    Einige biographische Informationen gibt Péan : V (Anm. 1), S. 33-56 ; über die Arbeit Jean Violets für den SDECE siehe Roger Faligot und Pascal Krop : La Piscine. Les services secrets français, 1944-1984, Paris : Seuil, 1985, S. 193-198.
  • [21]
    Aus der Perspektive eines beteiligten Aktivisten vgl. Brian Crozier : Free Agent. The Unseen War 1941-1991, London : Harper Collins, 1993, S. 99-100.
  • [22]
    Franz Josef Strauß : « L’Allemagne entre l’Est et l’Ouest », in : Le Monde moderne n° 3 (1973), S. 66-73 ; Hans Graf Huyn : « Une Allemagne socialiste dans une Europe socialiste », in : Le Monde moderne n° 4 (1973), S. 131-148.
  • [23]
    Vgl. die polemische Untersuchung von Scott und John Lee Anderson : Inside the League. The Shocking Exposé of How Terrorists, Nazis, and Latin American Death Squads Have Infiltrated the World Anti-Communist League, New York : Dodd, Mead and Company, 1986.
English

Using the method of « biographies croisées », the article analyzes the structures of transnational communication within the conservative milieu of Western Europe after the Second World War. In particular, three organizations are taken into consideration : the Centre européen de documentation et d’information (CEDI), which was founded in 1952 at the instigation of Otto von Habsburg in Francoist Spain and served, during the 1950s and 1960s, as a parallel diplomatical platform for the French Gaullists ; the Institut d’Études Politiques of Vaduz, a more restricted organization which emerged out of the CEDI in 1961 ; and the Cercle – an enigmatic circle of influential European and American politicians. Some of them were later to be involved in the so-called « sniffer plane » affair.

Français

Au moyen de la méthode des « biographies croisées », l’article analyse les structures de communication transnationale dans le milieu conservateur européen de l’après-guerre. Sont particulièrement prises en compte trois organisations : le Centre européen de documentation et d’information (CEDI), fondé en 1952 à l’initiative d’Otto de Habsbourg en Espagne franquiste, qui servit de forum de diplomatie parallèle aux gaullistes français durant les années 1950 et 1960 ; l’Institut d’Études Politiques de Vaduz, une organisation plus restreinte lancée par plusieurs membres du CEDI en 1961 ; et Le Cercle, organisation énigmatique rassemblant des hommes politiques renommés de l’Europe et des États Unis, dont certains étaient des futurs acteurs de ladite « Affaire des avions renifleurs ».

Johannes Grossmann [*]
  • [*]
    Johannes GROSSMANN, Professor Dr., Historisches Institut der Universität des Saarlandes, Lehrstuhl für Neuere und Neueste Geschichte, Fachrichtung 3.4 Geschichte, Postfach 15 11 50, D-66041 SAARBRÜCKEN ; courriel : j.grossmann@mx.uni-saarland.de
Mis en ligne sur Cairn.info le 04/02/2015
https://doi.org/10.3917/eger.254.0427
Pour citer cet article
Distribution électronique Cairn.info pour Klincksieck © Klincksieck. Tous droits réservés pour tous pays. Il est interdit, sauf accord préalable et écrit de l’éditeur, de reproduire (notamment par photocopie) partiellement ou totalement le présent article, de le stocker dans une banque de données ou de le communiquer au public sous quelque forme et de quelque manière que ce soit.
keyboard_arrow_up
Chargement
Chargement en cours.
Veuillez patienter...